BOOK OF SHADOWS:
BLAIR WITCH 2

Nachricht von Sam
Interview mit Joe Berlinger

"Blair Witch Project" war ein großer Erfolg, nicht zuletzt durch seinen kreativen Umgang mit Low- Budget- Technologie und seiner pseudo- dokumentarischen Erzählform. Werden Sie mit dem neuen Film diesem Konzept folgen oder eine neue Richtung einschlagen?

Wir werden auf jeden Fall vermeiden, einem ausgetretenen Pfad zu folgen. Gleich, als wir mit der Arbeit begannen, war klar, daß wir nicht auf das gleiche Konzept setzen konnten. Der erste Film hatte zu großes Aufsehen erregt. Nicht nur im Kino, auch in den Medien allgemein. Die Schauspieler waren überall zu sehen, auf den Titelblättern von "Time" und "Newsweek", in den großen Talk Shows. Auch wenn man mich ironischerweise ursprünglich überhaupt nur angesprochen hatte, weil ich Dokumentarfilmer war, fand ich, das Schlimmste, was wir machen konnten, war, uns an das Konzept des ersten Filmes heranzuhängen. Das wäre bloß ein Abklatsch geworden, der für mich als Filmemacher nicht besonders aufregend gewesen wäre. Aber was wichtiger ist: Eine Fortsetzung konnte nur funktionieren, wenn wir auf allen Ebenen das Gegenteil von dem machen würden, was alle erwarteten. Das beinhaltete, die Geschichte nicht an dem Punkt fortzusetzen, an dem der erste Film abbrach. Jeder hatte diese Schauspieler inzwischen so oft im Fernsehen gesehen, wo sie über den ersten Film und ihr Leben danach sprachen. Keiner hätte doch mehr geglaubt, daß diese Leute tot sind.

Welches war also ihr neuer Ansatz?

Nachdem der erste Film herausgekommen war, faszinierte mich als Dokumentarist nicht nur, daß es solch ein Erfolg wurde, sondern, daß so viele Menschen dachten, alles sei echt. Viele Leute besuchten das echte Burkittsville, und selbst wenn sie akzeptiert hatten, daß der Film nur Fiktion ist, dachten sie zumindest, dass an der Legende was Wahres dran sei. Ich fand, das könnte ein interessanter Aspekt sein, die Fortsetzung anzugehen. Alle Ideen, die es vorher gab, schlossen direkt an den ersten Teil an. Sie begannen damit, daß Heather, Joshua und Mike immer noch die verschwundenen Studenten waren. Eine Geschichte begann damit, daß ein Fernsehnachrichten- Team die verschwunden Bänder der Drei im Wald findet und dann ebenfalls verschwindet. In einer anderen suchten die Verwandten nach ihnen - und verschwanden natürlich. Ich war mir sicher, daß diese Ideen keine Chance auf Erfolg hatten. Der erste Film zog einfach zu viel Rummel nach sich! Wir hatten doch alle in der David Letterman- Show gesehen, daß Heather gar nicht tot ist!

Pilgrims

Welche Konsequenzen zogen Sie daraus?

In meiner Geschichte gibt es jetzt immer noch eine Verbindung zur Realität. Als Dokumentarfilmer versuche ich natürlich immer, etwas realistisch zu gestalten, aber auf meine ganz eigene Art. Also beschloß ich einen Film über das Phänomen zu machen, daß Menschen durch den ersten Film die Obsession entwickelten, nach Burkittsville zu gehen. Im neuen Film wird der erste Film als Fiktion behandelt. Am Ende meiner Geschichte wird aber die Frage gestellt, ob die Jugendlichen, die in diesem Film selber zu Tätern werden, von der Hexe von Blair besessen sind. Existiert sie wirklich? Ist sie verantwortlich für die Morde, die geschehen? Oder sind die Jugendlichen durch die Medienhysterie so sehr beeinflußt, daß von ihr dazu getrieben werden, zu morden. Das ist nämlich eines der Motive, das sich bereits durch meine Dokumentationen zieht. Hier in Amerika ist das gerade jetzt ein großes Thema: Gewalt, die durch die Medien ausgelöst wird. Dieser Film ist meine Art, über dieses Thema nachzudenken. Oberflächlich ist der Film ein Horrorfilm. Viele Leute werden aus dem Kino kommen und denken: OK, die Hexe ist aufgetaucht und hat mit diesen Jugendlichen ihren Spaß getrieben. Auf einer tiefgründigeren Ebene, die für mich zählt, handelt der Film aber über Gewalt in den Medien.

Wie weit reicht die Verbindung zu ihren Dokumentationen, die sich ja mit wahren Verbrechern und Mördern auseinandersetzten?

Es steckt jedenfalls kein großer "Masterplan" dahinter. In Wahrheit fiel es mir trotz einiger erfolgreicher und preisgekrönter Dokumentationen schwer, meinen ersten Spielfilm auf die Beine zu stellen. Die Leute in Hollywood sagten, toll, du kannst eine Geschichte dokumentarisch erzählen, trotzdem wissen wir nicht, ob du das gleiche mit einem Spielfilm hinkriegst. Zur Hälfte entschied ich mich, diese Fortsetzung anzunehmen, weil sich mir damit die Gelegenheit bot zu zeigen, daß ich einen richtigen Film machen kann. Trotz all der Risiken, die in dem Projekt steckten. Es war ja ein enormer Druck. Von dem Tag an, an dem ich den Job akzeptierte, bis zur Premiere sollten gerade einmal 11 Monate vergehen. Dann läuft der Film in 6 Ländern auf 4000 Leinwänden. Ich hatte eigentlich immer davon geträumt, daß mein erster Spielfilm ein kleines Projekt sein würde, mit einem Budget so zwischen 3 bis 4 Millionen Dollar, Premiere auf dem Sundance Festival und danach einer kleinen Kinoauswertung auf vielleicht 100 Leinwänden. Das war jetzt schon ein Unterschied.
Natürlich wollte ich gerne, daß der Film in Verbindung mit meiner bisherigen Arbeit steht. Das habe ich, als ich dann an Bord war, auch versucht. Ich habe versucht einen Horrorfilm mit einem Krimi zu verschmelzen. Ich versuche zu thematisieren, daß jemand eines Verbrechens beschuldigt wird, das er vielleicht nicht begangen hat - ein Thema, das bereits in meiner Dokumentation "Paradise Lost" im Vordergrund stand. An der Oberfläche geht es auch in "Paradise Lost" um eine Mordserie, die in einem Wald stattfindet. Der Mann, der all der furchtbaren Taten verdächtigt wird, und den ich für unschuldig halte, machte sich nur durch ein paar Absonderlichkeiten seines Charakters in der Gemeinde verdächtig. Er ist ein "Wiccan". Viele Leute haben Angst vor diesem Wort, denken dabei an Hexerei und satanische Rituale. In Wirklichkeit ist "Wiccan" nur eine sehr erdverbundene Religion, deren Anhänger weder an Himmel noch Hölle, geschweige denn satanische Rituale denken. Es ist eine sehr natürliche, bäuerliche Religion. Es gibt in Amerika eine große Untergrundbewegung von "Wiccans", die finden, daß "Blair Witch Project" Hexen falsch dargestellt habe. Sie sind wütend, weil sie als böse Wesen behandelt wurden. Deshalb gibt es auch im neuen Film einen Figur, die den "Wiccan" angehört, weil sie zurechtrücken möchte, wie Hexen im ersten Film dargestellt wurden. Sie besitzt viele Eigenschaften des Mannes aus "Paradise Lost".

Ich habe gelesen, daß das "Book of Shadows" ebenfalls aus der Religion der Wiccan stammt. Ein Buch voller alter Flüche.

Es Kim wäre angebrachter, es das Tagebuch einer Hexe zu nennen. Aber der Titel bezieht sich auch auf die Schatten im Leben der Charaktere, von denen wir im Verlauf des Filmes erfahren. Aber es gibt noch eine zweite Figur, die auf "Paradise Lost" beruht. Kim, der Gruftie. Die amerikanische Grufti- Bewegung schien sich besonders zum "Blair Witch Project" hingezogen zu fühlen. Die meisten Jugendlichen, die es nach Burkittsville zog, waren Grufties. Außenseiter, die der übernatürliche Aspekt des Filmes faszinierte. Aber denen es auch gefiel, daß der Film in gewisser Weise, ebenso wie sie, wie ein Außenseiter daherkam und trotzdem die Welt eroberte.

Ich habe versucht, den Film so zu machen, daß er reflektiert, wie die Welt auf den ersten Film reagiert hat. Das ist meine Art, im zweiten Teil den schmalen Grad zwischen Wirklichkeit und Fiktion zu verwischen. Er wird einen ganz anderen Stil haben, ich habe auf reiche, poetische Bilder gesetzt, wollte auch damit einen Kontrast zum ersten Teil schaffen. Letztendlich wollte ich aber einen Film machen, der für sich selbst stehen kann. Man soll den zweiten Film verstehen und genießen können, ohne den ersten zu kennen. Aber selbst dabei mußte ich Balance bewahren. Es gibt so viele Fans des ersten Filmes, die belohnt werden sollen, wenn sie sich den zweiten Teil ansehen. Es wird also neue Mythologie für die Insider geben, trotzdem aber für neue Zuschauer verständlich bleiben.

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Presseheft